Wie gewöhnt man eine scheue und ängstliche Katze ein?

Josy, zwei Jahre alt, ängstlich, sucht gemeinsam mit Bruder Jasper ein Zuhause. www.agtiere.de

Wer im Tierschutz arbeitet, der kennt das Problem in vielen leidvollen Facetten. "Scheue" Katzen sind kaum zu vermitteln.  Was aber heißt scheue Katzen?

Hier gehen die Begriffe oft munter durcheinander. Was ist gemeint? 

  • Scheue Katze
  • Ängstliche Katze
  • Aggressive Katze
  • Verwilderte Katze
  • Wildkatze

Eine scheue Katze ist in der Regel eine ängstliche Katze - ängstlich gegenüber Menschen. Das macht einen gewaltigen Unterschied: denn viele dieser "schwierigen Tiere" sind sehr wohl sozial, teilweise sehr sozial, mit anderen Artgenossen.

Verwildert sind Hauskatzen, wenn sie lange, teilweise über Generationen, ohne oder nur mit sehr wenig Menschenkontakt gelebt haben. Das trifft eher etwa auf Populationen zu, die in abgelegenen Gegenden mehr schlecht als recht überleben. 

Selbst Katzengruppen auf Friedhöfen oder auf Fabrikhöfen hierzulande haben oft Fütterer, kennen also Zweibeiner in Zusammenhang mit wichtigen Ressourcen.    

Wildkatze - dieser Begriff wird oft missbräuchlich verwendet, wenn eine verwilderte Katze gemeint ist. Eine Wildkatze ist unseren Hauskatzen aber nur entfernt verwandt, sie gehört zur Gattung felis silvestris silvestris und ist in ihrem Bestand bedroht.  

Nicht jede ängstliche Katze ist eine aggressive Katze

Scheu oder ängstlich - gemeint ist in der Regel, dass sich eine Mieze von uns nicht anfassen lässt, geschweige denn hochheben, auf dem Arm herumtragen oder in den Korb setzen. Das empfinden wir, die wir uns doch für Katzenkenner halten, als Affront. 


Jasper, Bruder von Josy
"Ich habe seit 30 Jahren Katzenerfahrung, aber sowas noch nie erlebt."  

Wie oft ich diesen Satz schon hören musste? Ich kann es nicht mehr zählen. Natürlich wünscht sich jeder Mensch eine Samtpfote, die er liebt und die ihn liebt oder Zuneigung erwidert. So offensichtlich mit Missachtung oder offener Ablehnung bestraft zu werden, ist nicht schön. Es führt zu Frustration - und dafür machen wir die Urheberin verantwortlich - die Katze.

"Solch ein Tier kann nur auf einen Bauernhof vermittelt werden."   

Auch so ein Satz, der einem Tierschützer Zornesfalten auf die Stirn zaubert. Ohne unsere Landwirte oder Reiterhöfe in Bausch und Bogen verdammen zu wollen: Oft besteht noch die längst überholte Meinung, dass nur ein "Nutztier", also ein nützliches Tier etwa wert ist. Kastration, um weiteres Elend zu verhindern? Impfung? FIV/FelV- Test? FORL-Check?  Wohl kaum. 

Nein, deshalb sind Höfe nicht die besten Lösungen für die Scheuen, jedenfalls in den meisten Fällen nicht. Und ja, sicher gibt es Ausnahmen. 

Was ist eine scheue Katze? 

Scheu heißt, wie oben schon gesagt, vorwiegend menschenscheu - nicht unbedingt scheu vor Artgenossen. Ja, es gibt sie, die "Wilden", die jede Art von menschlicher Annäherung mit der ganzen beeindruckenden Bandbreite von Abwehrlauten beantworten. Fauchen, Knurren, Grollen, Kreischen, Spucken, Kratzen und Beißen - in unterschiedlichen Kombinationen. Das soll abschrecken und tut es auch. 



Zwei anfangs ängstliche Katzen, die sich gesucht und gefunden haben: Meeko und Otto  

Scheu ist grundsätzlich ängstlich - manchmal eben auch aggressiv. Wobei es Tiere gibt, die je nach Charakter, schon offensiv aggressiv werden, wenn sich der Mensch nur nähert. Andere reagieren defensiv aggressiv, wenn ihre Wehrdistanz unterschritten wird. Sie stehen dann mit dem Rücken zur Wand und können nicht mehr anders, als sich zu wehren.

Wer wie reagiert, ist eine Typfrage, eine Sache der Hormone, der Genetik, der Lernerfahrungen, der Sozialisation. 

Nie werde ich Severin den Spucker vergessen. Er war ein bildhübsches junges Katerchen, der sich in seiner Pflegestelle im Kratzbaum verschanzt hatte und den nur verließ, wenn kein Mensch im Zimmer war. Näherte sich ein Zweibeiner auf einen halben Meter dieser Höhle, kam ein fauchendes und spuckendes Etwas hervorgeschossen. Unzählige Menschen hat Severin in die Flucht gespuckt. Nur seine Familie nicht, die beschlossen hatte, ihm eine Chance zu geben. Im vergangenen Jahr ist er, als Katzensenior und geliebtes Familienmitglied, gestorben. 

Wie reagieren ängstliche und scheue Katzen?     

Mein Kater Paul war das ganze Gegenteil von Severin - aber deshalb nicht weniger scheu. Paul und Toby kamen aus dem Eifeltierschutz. Paul war auf einem Bauernhof mit vielen anderen unkastriert aufgewachsen, hatte Angst vor Menschen, Männern, Schuhen, Fotoapparaten, Haustürklingeln, eigentlich vor allem, was er nicht kannte. Aggressiv war er nur zu allen anderen Katzen, außer Toby. Bei Menschen war er ein Lamm. Ich konnte ihn anfassen und auf den Arm nehmen. Aber dabei zitterte er so, dass ich die Zähne klappern hören konnte.  Scheu? Ja. Aggressiv? Nein.

Wie kann ich eine ängstliche Katze beruhigen und eingewöhnen? 

Ja, das ist die Frage, auf die es nicht die eine und allein selig machende Antwort gibt - nur generelle Verhaltensweisen, die hilfreich sein können. Und natürlich können Anti-Stress-Mittel mit dem Wirkstoff Tryptophan hilfreich sein, die im Handel frei zu erwerben sind. 

Acht Tipps zur Eingewöhnung einer ängstlichen Katze

  • Geduldig sein. Ja, das fällt schwer. Aber Zeiträume bemessen sich hier eher in Wochen als in Tagen
  • Respekt vor dem Wesen der Samtpfote haben. Nicht bedrängen
  • Rückzugsorte anbieten und absolut respektieren 
  • Präsenz zeigen, aber dabei die Individualdistanz beachten
  • Angebote machen - immer wieder und wieder. Dabei auf Distanz bleiben
  • Katze nicht anstarren, blinzeln, Kopf wegdrehen, auf den Boden setzen oder legen, Hand mit der Fläche nach oben anbieten
  • Alles nutzen, was den Arm verlängert - Wedel, Angeln etc. Langsame Bewegungen! 
  • Gerüche zunutze machen: Fast alle Miezen lieben Katzenminze oder Baldrianspielzeug. Spielen ist Jagen, eine angeborene Verhaltensweise und damit ein Zeichen der Normalität. 
  • Spielangebote nur mit Spielzeug machen, das ins Beuteschema passt und keine Angst verursacht. Ein sehr gutes Beispiel: der Cat Dancer, mit oder ohne Baldrianfüllung fast immer ein voller Erfolg. 
  • Auf die Kraft der Solidarität setzen: Andere, gut mit Menschen und Katzen sozialisierte Tiere können enorm hilfreich sein und zeigen, dass Zweibeiner doch gar nicht so schlimm sind, wie vermutet.     


Gibt es weniger ängstliche Katzenrassen? 

Nein. Wohl gibt es Rassen, die als "gemütlich" oder "ruhig" oder "menschenbezogen" gelten, wie die Perser, die Britisch Kurzhaar, die Maine Coons...Aber über den indviduellen Charakter eines Tieres entscheidet nur zu einem Teil die Genetik. Das Aufwachsen, die "sensible Phase", das Erwachsenwerden, die Erfahrungen im Leben, die Haltung...alles das formt den Charakter.   

Wie lange dauert es, um eine scheue, ängstliche Katze einzugewöhnen?

Und wenn wir es uns noch so sehr wünschen: Es wird nicht schnell gehen. Angst ist ein starkes Gefühl, das beim Überleben hilft. Misstrauen ist oft eine Lebensversicherung und Zuneigung entsteht nicht in Tagen, sondern in Monaten.

ABER: SIE KOMMEN ALLE - IRGENDWANN

Toby wurde 19 Jahre alt. Zum ersten Mal anfassen konnte ich ihn mit 17 Jahren. Er hatte ein langes, glückliches Leben. Nur das zählt   




    

Kommentare